In eigener Sache:

Gegen die Sperrung von Internetseiten – gegen den Aufbau einer Zensurinfrastruktur – gegen Kriminalität im Internet

Geändert am 10.06.2009
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzwerken“ vom 22.04.2009 sieht eine Sperrung von Internetseiten mit kinderpornographischem Inhalt vor. Was auf den ersten Blick richtig und wichtig erscheinen mag, stellt sich bei näherer Betrachtung als unwirksame Symbolpolitik heraus, die zur Bekämpfung von Kinderpornographie völlig ungeeignet ist und einzig eines bewirken wird: die Beschneidung der grundgesetzlich garantierten Rechte auf Meinungs- und Informationsfreiheit im Internet.
falle-internet.de unterstützt deshalb den Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur und die gegen das geplante Gesetz gerichtete Online-Petition „Keine Sperrung und Indizierung von Internetseiten“ von Franziska Heine.
Seitens der verantwortlichen Politiker wird die öffentliche Diskussion mit einer der Ernsthaftigkeit der Thematik unwürdigen Polemik und Bildhaftigkeit geführt. Von „zerfetzten“ Kinderkörpern und –seelen ist die Rede, von einem Milliardenmarkt, von hunderttausenden Aufrufen kinderpornographischer Webseiten von deutschen Internetanschlüssen jeden Tag, von einer Unterbindung von 80% dieser Zugriffe durch das Gesetz. Totschlagargumente und unbelegte Statistiken sollen jede sachliche Beschäftigung mit dem Thema von vorneherein unmöglich machen und von der offensichtlichen Untauglichkeit des Gesetzesvorhabens ablenken.
Dabei ist schon die immer wieder beschworene „Sperrung“ von kinderpornographischen Internetseiten eine groteske Verdrehung der Tatsachen: Die angedachten Maßnahmen sehen eine echte Sperrung überhaupt nicht vor. In Wirklichkeit sollen die Provider gezwungen werden, das „Internettelefonbuch“ (die DNS-Server) zu manipulieren. Keine einzige Seite wird gesperrt – stattdessen sollen kinderpornographische Webseiten eine „neue Rufnummer“ (Umleitung auf eine Stopp-Seite) bekommen. Wer die „echte Telefonnummer“ (die IP-Adresse des Servers) kennt, kann diese schwerstkriminellen Seiten weiterhin problemlos aufrufen; wer ein „eigenes Telefonbuch“ (einen alternativen DNS-Server) verwendet, sowieso. Die unwahre Behauptung, nur „technisch versierte“ Nutzer könnten solche oder ähnliche Maßnahmen ergreifen, hält keiner objektiven Betrachtung auch nur im Ansatz stand: Zur Überwindung der Scheinsperre reicht es aus, die Worte „DNS“ und „Sperre“ bei Google einzugeben.
Und es schadet doch!
Nachdem von allen Experten einhellig die Meinung vertreten wird, das Gesetz erfülle seinen eigentlichen Zweck gar nicht oder zumindest nur sehr bedingt, wird mittlerweile vermehrt von einer lediglich ergänzenden Maßnahme zur Bekämpfung kinderpornographischer Inhalte gesprochen. Tenor: Wenn es schon nichts nutzt, dann wird es wenigstens nicht schaden. Ein Trugschluss.
Das geplante Gesetz soll dem BKA die Befugnis einräumen, eine geheime Liste zu „sperrender“ Webseiten zu führen. Eine – insbesondere vorherige – richterliche Kontrolle ist ebenso wenig vorgesehen wie die Möglichkeit, gegen eine unberechtigte Sperrung vorzugehen; schon deshalb, weil ein betroffener Seitenbetreiber gar nicht darüber informiert wird, dass sein Webauftritt auf die geplante Stopp-Seite umgeleitet wird. Dieses rechtsstaatlich höchst bedenkliche Szenario schafft die Grundlagen für eine verfassungswidrige Geheimzensur.
Die Befürchtungen der Kritiker des Gesetzesvorhabens sind keineswegs graue Theorie aus ferner Zukunft. Bereits 2007 hat falle-internet.de am eigenen Beispiel erfahren, dass im Zweifelsfall offensichtlich jedes Mittel recht ist, um unliebsame Meinungsäußerungen im Internet mundtot zu machen. Damals berichtete falle-internet.de über den „Hacker“ vladuz, der im eBay-Forum mehrfach mit den Zugriffsrechten eines eBay-Mitarbeiters auftauchte und neben eBay-Nutzerdaten auch Bildschirmfotos veröffentliche, die vorgeblich interne Programme der eBay-Sicherheitsabteilung zeigten. Als Reaktion auf diesen Bericht wurde nicht nur der Hoster von falle-internet.de aufgefordert, die Seite vom Netz zu nehmen und dabei mit Strafverfolgung – u.a. durch das FBI – bedroht. falle-internet.de fand sich innerhalb kürzester Zeit auch in einer Liste betrügerischer Internetseiten wieder. Wer unsere Seite mit einem modernen Browser mit eingebautem Phishing-Filter besuchte, bekam eine Warnung: „Vermuteter Web Betrug. (…) [Sie müssen] mit Identitätsdiebstahl oder sonstigem Betrug rechnen.“
Dieser wahrheitswidrige Falscheintrag war zwar rechtlich höchst bedenklich, letztlich aber bloß ein kleines Ärgernis für falle-internet.de. Trotzdem zeigt dieses Beispiel eindrucksvoll, wie wenig Skrupel vorherrschen, wenn es darum geht, kritische Meinungsäußerungen im Internet zu unterbinden. Der Gedanke, eine geheime BKA-Sperrliste gegen Kinderpornographie würde nicht zweckentfremdet werden, ist mehr als nur naiv. Die Begehrlichkeiten für eine einmal zur Verfügung stehende Zensurinfrastruktur sind längst angemeldet. Ein Blick in die Sperrlisten anderer Länder – z.B. Finnland, Dänemark, Großbritannien und Australien – zeigt zudem, dass von solchen Maßnahmen sogar in der Hauptsache völlig legale Seiten betroffen sind, u.a. politische Inhalte, zeitweise sogar die englischsprachige Wikipedia.
Wird eine Webseite oder ein Internetnutzer einmal mit Kinderpornographie in Verbindung gebracht, ist dieser Vorwurf geeignet, Existenzen dauerhaft zu ruinieren. Die entsprechende Sperrliste hat daher eine völlig neue Qualität: Die Mittel und Wege, einen unbedarften Nutzer ohne sein Zutun auf eine Stopp-Seite zu locken sind genauso vielfältig wie die, eine ungenügend gesicherte Webseite zu übernehmen und entsprechend zu diskreditieren. Als Beispiel mag die Internetpräsenz der „Deutschen Kinderhilfe e.V.“ dienen, die kürzlich Opfer eines sogenannten „Defacement“ war. Der Verein, der das Gesetzesvorhaben befürwortet und Unterschriften gegen die Online-Petition sammelt, informierte daraufhin die Besucher seines Internetauftritts unfreiwillig über die Aberkennung des Spendensiegels, die Aufgabe der Gemeinnützigkeit, seine privatwirtschaftlichen Verquickungen und den Umgang mit Mitgliedsdaten und Spendengeldern. In einer zukünftigen Internet-Welt, wie die Kinderhilfe sie sich vorstellt, hätte der Angreifer stattdessen mit Leichtigkeit kinderpornographisches Material hochladen und die „Deutsche Kinderhilfe“ beim BKA melden können. Ein Eintrag auf der geheimen Sperrliste wäre wohl sicher gewesen, und jeder Besucher der Domain über Nacht ein potentieller Pädophiler.
Die Alternative zur Zensur:
konsequente Ermittlungsarbeit und Strafverfolgung
Wie Kinderpornographie im Internet wirksam bekämpft werden kann, zeigen indes die Versuche der Organisation „carechild“ und des AK Zensur: In zwei Modellversuchen wurden die Hoster von vermeintlich kinderpornographischem Material angeschrieben und aufgefordert, die Seiten zu überprüfen und ggf. vom Netz zu nehmen. Reagiert wurde innerhalb kürzester Zeit: eine Vielzahl von Seiten, die z.T. seit Monaten oder gar Jahren auf Sperrlisten anderer Länder vermerkt waren, wurden abgeschaltet. Bei der Mehrzahl der Websites ergab die Überprüfung jedoch, dass diese keine kriminellen Inhalte hatten und zu Unrecht gesperrt waren.
falle-internet.de kämpft seit Jahren im Bereich des Online-Betrugs gegen Kriminalität im Internet. Unter anderem haben wir bei dieser Thematik mit Phishing- und gefälschten Treuhandseiten zu tun. Wir können die Ergebnisse von „carechild“ und dem AK Zensur aus eigener Erfahrung ebenso bestätigen wie eine Studie der Universität Cambridge, die ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, dass kriminelle Inhalte bei Meldung an den Hoster international nach spätestens 12-36 Stunden vom Netz genommen werden. Dazu ist in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle eine einfache Mail (sog. Abuse-Meldung) ausreichend. Wir wissen ebenfalls aus unserer täglichen Arbeit, dass die überwältigende Mehrheit krimineller Internetseiten ohne das Wissen der eigentlichen Seiteninhaber betrieben wird; hier werden Sicherheitslücken ausgenutzt, um eine fremde Domain für illegale Vorhaben zweckzuentfremden. In aller Regel sind die Hoster und/oder Seitenbetreiber froh über jeden Hinweis auf derlei Inhalte und reagieren umgehend. Warum ausgerechnet das BKA bei der Bekämpfung der Kinderpornographie mit einer derartigen Meldung überfordert sein soll, erschließt sich falle-internet.de nicht.
falle-internet.de wird bei der Betrugsbekämpfung oft mit der Situation konfrontiert, dass Probleme durch einen Vorhang oder Deckmantel aus der öffentlichen Wahrnehmung genommen werden. Allzu häufig scheint das Verstecken und Totschweigen für die Verantwortlichen die einfachere Methode zu sein. Was im Falle von Online-Betrug allenfalls ärgerlich ist, wird beim Thema Kindesmissbrauch zu einer Verhöhnung der Opfer und einem Angriff auf deren Menschenwürde. Statt das Problem durch öffentlichkeitswirksame, aber ungeeignete Maßnahmen unter den Teppich zu kehren, sind konkrete Maßnahmen gefordert: eine bessere technische und personelle Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden, ein Ausbau der internationalen Kooperation und vor allem eine drastische Verkürzung der Dienstwege.
Ja: In Deutschland und weltweit werden Kinder missbraucht. Viele von ihnen mehrfach:

Zunächst in Familien, im Bekanntenkreis, von Vertrauenspersonen.

Dann fortgesetzt im Internet, das zum Teil als Verbreitungsweg der daraus entstandenen Darstellungen dient.

Zuletzt fühlen sich die Opfer ein drittes Mal missbraucht. Sie haben den Eindruck, ihr Leiden würde von Politikern und Lobbyisten zur Profilierung eingesetzt und für das Ziel instrumentalisiert, ein kontrolliertes und konformes Internet durchzusetzen.

Der Missbrauch von Kindern muss in all seinen Facetten entschieden bekämpft werden!

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