bettercom-Prozess:
eBay „auf der Verliererstraße“

Geändert am 22.09.2008
eBay zieht einstweilige Verfügung gegen Marktanalyse-
Tool „bettercom“ zurück
Das Verfügungsverfahren eBay gegen Lesser ist zu Ende: In einem letzten Versuch, Schadensbegrenzung zu betreiben und ein für seine Mandantin ungünstiges Urteil zu vermeiden, zog eBays Anwalt die Reißleine und nahm den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück.
Bereits während der mündlichen Berufungsverhandlung vor dem Kammergericht Berlin am Freitag, dem 19.09.2008, wirkte die Antragstellerin und Berufungsbeklagte zunehmend hilflos; bezugnehmend auf die deutlichen Worte, man sei »an einer Zusammenarbeit nicht mehr interessiert«, mit denen Anfang 2006 jeglicher Kompromiss seitens eBay abgelehnt worden war, erklärte eBay-Anwalt Schlüschen, warum man sich jetzt doch vergleichen wolle:

„Damals waren wir auf der Gewinnerstraße, jetzt sind wir auf der Verliererstraße“.
Im bettercom-Prozess ging es seit Oktober 2005 um die Frage, ob die von eBay öffentlich verfügbar gemachten Bewertungs- und Angebotsdaten von einem Dritten analysiert und statistisch ausgewertet wiedergegeben werden dürfen. Entsprechende Dienste wie u.a. den »Bewertungsprüfer«, das Konkurrenzbeobachtungstool »CatAlert« oder Ranking-Listen der größten eBay PowerSeller bot Martin Lesser unter dem Namen »bettercom« im Internet an.
Zunächst zeigte sich eBay angetan von den Dienstleistungen von »bettercom« - zumal es zum damaligen Zeitpunkt kaum vergleichbare Instrumente am Markt gab und seitens der professionellen eBay-Verkäufer eine große Nachfrage nach einer fundierten Marktdatenanalyse bestand, um neue Entwicklungen im jeweiligen Marktsegment rechtzeitig erkennen und darauf reagieren zu können. Das Anbieten seiner Dienstleistungen wurde Lesser von eBay seinerzeit explizit erlaubt.
Diese Haltung eBays änderte sich schlagartig, als mehr und mehr erkennbar wurde, dass die Tools von »bettercom« auch in der Lage waren, negative Entwicklungen auf dem eBay-Marktplatz valide abzubilden. Auf die Meldung, dass bereits rund 10% der 10.000 größten Verkäufer bei eBay ihr Mitgliedskonto gekündigt hatten bzw. durch eBay gekündigt wurden, reagierte man mit Unverständnis: »Wenn Sie wirklich an einer Zusammenarbeit interessiert sind, sollten Sie auch mal die Meldung „eBay-Kündigungen erreichen neues Rekordhoch“ von Ihrer Seite entfernen. Bei einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit sollte man ja gegenseitig positiv voneinander berichten.«
Die objektiven Zahlen von »bettercom« deckten sich nicht mit den Behauptungen eBays, »nur eine von 10.000 Transaktionen [sei] problembehaftet«, und passten nicht in eine Zeit, in der massiv versucht wurde, Verkaufsagenten und Existenzgründer als neue gewerbliche Verkäufer für die Plattform anzuwerben. Als Lesser sich weigerte, seine objektive Berichterstattung zugunsten einer beschönigenden aufzugeben und mit seinen Programmen die offizielle eBay-Schnittstelle zu nutzen, untersagte man den Vertrieb der Analyse-Tools durch »bettercom« mit einer einstweiligen Verfügung.

Aussage des eBay-Geschäftsführers Stefan Groß-Selbeck in einer Forumsdiskussion mit eBay-Nutzern

In einem Urteil des Landgerichts Berlin vom 22.12.2005 wurde diese Verfügung bereits in Teilen wieder aufgehoben. Es entwickelte sich in der Folge ein fast dreijähriger Schriftwechsel, in dem eBay zunächst erfolglos versuchte, Urheberrechte an der »Angebotsdatenbank« zu reklamieren; später sollte ein vermeintliches Wettbewerbsverhältnis zwischen eBay und »bettercom« einen Unterlassungsanspruch nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb begründen. Lesser hingegen berief sich hauptsächlich auf die »Paperboy-Entscheidung« des Bundesgerichtshofs, nach der der Betrieb einer Suchmaschine im Internet, die unwesentliche Teile einer Datenbank entnimmt, auswertet und verkürzt wiedergibt, keinen Urheberrechtsverstoß darstellt.
Bereits in der Ladung zum Prozesstermin stellte das Kammergericht Berlin klar, dass es der Auffassung von »bettercom« folgt. Diese Position wurde auch in der Verhandlung mehr als deutlich, als der Richter von seinen privaten Erfahrungen mit dem Suchdienst »google« berichtete: Auf der Suche nach einem elektronischen Gerät seien ihm u.a. eine Vielzahl von eBay-Angeboten angezeigt worden. Die Frage, ob »google« an die offizielle eBay-Schnittstelle angeschlossen sei, konnte oder wollte ein anwesender eBay-Manager nicht schlüssig beantworten.
Weiterhin hatte die 2005 erwirkte Verfügung bereits formal keine Rechtsgrundlage; als Antragstellerin trat die eBay International AG mit Sitz in der Schweiz auf - einem Nicht-EU-Mitgliedstaat, mit dem keinerlei bilaterales Abkommen zum Urheberrecht besteht und von dem aus ein eventueller Urheberrechtsanspruch an der Angebotsdatenbank damit in Deutschland gar nicht geltend gemacht werden kann.
Auch die Behauptung von eBays Anwalt in einem Schriftsatz an das Kammergericht einen Tag vor der Verhandlung, »bettercom« und eBay seien auf dem Gebiet der Marktdatenanalyse Wettbewerber, erwies sich als unhaltbar. Am 16.09.2008, also unmittelbar vor dem Aufsetzen dieses Schreibens, hatte eBay sein Marktdatenprogramm an die kanadische Firma »Advanced« verkauft, welche die Marktanalysen nunmehr unter dem Namen »TeraPeak« anbietet. Über diesen Umstand mussten sowohl der Anwalt als auch der Manager eBays während der Verhandlung von der Gegenseite aufgeklärt werden.
Dieser Verhandlungsverlauf führte schließlich zusammen mit weiteren Hinweisen des Richters, dass die Kammer teils »erhebliche Schwierigkeiten« mit den verschiedenen Argumentationsstrategien von eBay habe, zu der Aussage von der »Verliererstraße« - und letztlich zur Rücknahme des Verfügungsantrags. Nachdem eBay Lesser im Verfahren mehrfach des »Schmarotzens« ihrer Arbeitsleistung beschuldigte und u.a. mit einem Strafantrag drohte, erscheint dieser Rückzieher fast kleinlaut.
Lessers Anwalt Stadler (*) kommentiert auf den Internetseiten seiner Kanzlei: »In der Berufungsverhandlung [...] hat das Gericht dann aber deutlich zu verstehen gegeben, dass es beabsichtigt, das Urteil des Landgerichts aufzuheben. [...] Die Antragstellerin (eBay) hat daraufhin, nach der mündlichen Verhandlung aber noch vor Urteilsverkündung ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgenommen und ist damit einer für sie negativen Sachentscheidung zuvorgekommen. Damit ist die inhaltliche Frage, ob die Auswertung der Angebots- und Bewertungsdaten gegen die Rechte von eBay als Datenbankhersteller verstößt, oder nicht doch ähnlich wie in der Paperboy-Entscheidung eine zulässige Verwertung unwesentlicher Teile einer Datenbank darstellt, die einer normalen Auswertung der Datenbank entspricht, weiter ungeklärt.«
(*) eBay-Anwalt Schlüschen war vor der Veröffentlichung dieses Artikels leider nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. »falle-internet.de« wird eine solche ggf. nachreichen.
Transparenz bei eBay unerwünscht?
Hinter dem Antragsrückzug von eBay steckt vermutlich rechtliches Kalkül: Mit der Vermeidung eines für eBay ungünstigen Urteils bleibt die Rechtslage weitestgehend ungeklärt. Damit sind unabhängige Entwickler ähnlicher Software weiterhin dem Risiko einer einstweiligen Verfügung ausgesetzt und müssten ggf. selbst ihr Recht erstreiten und in einem u.U. Jahre währenden Verfahren mit Gerichts- und Anwaltskosten in Vorlage gehen.
Wer dieses Risiko vermeiden will, dem bleibt nur, seine Daten über die offizielle eBay-Schnittstelle zu beziehen – und damit aus einer Quelle, die allein von eBay kontrolliert wird. Zusätzlich besteht jederzeit die Gefahr, bei unliebsamer Berichterstattung einfach von der Nutzung der eBay-Schnittstelle ausgeschlossen zu werden. Unabhängige und damit verlässliche Daten rund um den eBay-Marktplatz stehen somit de facto nicht zur Verfügung.
Der eBay-Pressesprecher verspricht zum Bewertungssystem »Mehr Transparenz für noch mehr Vertrauen«. Im Gegensatz dazu bot »bettercom« mit dem »Bewertungsprüfer« mehr Transparenz für noch mehr Skepsis an. Käufern sollte mit dem kostenlosen Programm bereits vor dem Kauf eine bessere Einschätzung möglich sein, ob ein Verkäufer sich bei späteren Reklamationen kundenfreundlich verhält.
Diese Art von Transparenz ist offenbar bei eBay unerwünscht – dagegen hat die Verbannung „ungeliebter“ Tools, die sich zum Aufdecken von Schwachstellen eignen, bei eBay Tradition.
Das von einem anderen Anbieter ebenfalls kostenlos bereitgestellte Programm »SellersBestFriends (SBF)« eignete sich, um Auktionsmanipulationen durch Eigengebote aufzudecken. Die Entwicklung wurde ebenfalls im Herbst 2005 eingestellt, der Autor teilte mit: »Der Vertrieb der Software wurde eingestellt. Ich wurde von eBay aufgefordert, die Software an die eBay API bzw. das offizielle eBay Marktdatenprogramm anzupassen, ansonsten habe ich den Vertrieb der Software einzustellen. Leider ist die Software aber nicht über diese Schnittstellen auszuführen, da die benötigten Daten dort nur unzureichend vorliegen.«
Das Programm »SellersBestFriends« hatte sich zu einem Instrument weiterentwickelt, mit dem erfahrene Nutzer Betrugsfälle auf der eBay-Plattform auffinden konnten. Vor allem die Schreiber im eBay-Forum Sicherheit erstellten sich bei Anfragen durch Betrugsopfer schnell ein Bild über die Verdachtsmomente. Nach der Verbannung von »SBF« und »bettercom« wurde unter dem Titel »Offener Brief an eBay Deutschland - Herrn Dr. Gross-Selbeck« die Frage gestellt: »Sind Sie der Meinung, dass ein Vorgehen gegen Anbieter hilfreicher Tools, (die eBay selbst nicht zur Verfügung stellen kann oder will) geeignet ist, das ohnehin etwas ramponierte Image (insbesondere im Bereich Sicherheit) Ihrer Firma aufzubessern ?«
Die Frage hat auch nach der Entscheidung im bettercom-Prozess nicht an Aktualität verloren; beantwortet wurde sie jedoch bis heute nicht.

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