Der große Bluff: „Geprüftes Mitglied“

Geändert am 30.06.2007
Steil und spektakulär steigen die Kometen am eBay-Himmel auf - und lassen beim Verglühen in ihrer Brandspur tausende geprellte Käufer zurück.
Beim so genannten Hit-and-Run-Betrug werden schlagartig große Mengen Waren angeboten und so innerhalb kurzer Zeit hohe Summen an Vorkassezahlungen gescheffelt. Bevor den Käufern klar wird, dass sie vergeblich auf die Lieferung ihrer Ware warten, ist das Geld bereits unwiederbringlich weitergeleitet.
Die eBay-Sicherheitsmechanismen sollten in solchen Fällen Alarm auslösen und zusätzliche Kontrollen veranlassen, um größeren Schaden zu verhindern.
Viele eBay-Mitglieder verlassen sich darauf, dass bereits eine gründliche Prüfung stattgefunden hat, wenn sie hinter dem Mitgliedsnamen das Symbol für ein „geprüftes Mitglied“ sehen. Sie glauben, dass der Verkäufer bereits seine Identität und die Anschrift verifizieren lassen musste. Wenn es sich dazu noch um einen gewerblichen Verkäufer handelt, der einen eBay-Shop betreibt und der zudem auch eine Reihe positive Bewertungen in seinem Mitgliedsprofil vorweisen kann, sind die Bieter überzeugt, es mit einem vertrauenswürdigen Handelspartner zu tun zu haben.
In den „Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Nutzung der deutschsprachigen eBay-Websites“ heißt es unter § 1.7: »Eine Überprüfung der bei der Anmeldung hinterlegten Daten führt eBay nur sehr begrenzt durch […]. Jedes Mitglied hat sich deshalb selbst von der Identität seines Vertragspartners zu überzeugen.«
Dazu hat das Mitglied aber nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten. Vor allem vor dem Vertragsschluss durch das Höchstgebot steht ihm lediglich ein eBay-Pseudonym zur Verfügung. Es ist nicht üblich, dass ein Interessent dem Verkäufer mailt: »Ich möchte gerne bei Ihnen bieten, bitte übersenden sie mir eine beglaubigte Kopie Ihres Ausweises, Ihrer Anmeldebestätigung sowie einen Beleg der Warenverfügbarkeit.«
Die eBay-Sicherheitsabteilung jedoch hat die Möglichkeit, diese Nachweise anzufordern. Und der Nutzer erwartet eine Überprüfung zumindest dann, wenn er den Plattformbetreiber ausdrücklich auf „Angebote mit möglichen betrügerischen Absichten“ aufmerksam macht.

laritobi

„Schnäppchenjägers Freund“ hieß der eBay-Shop des Mitglieds „laritobi“ und die Schnäppchenjäger griffen bei diesem speziellen Freund gerne und in Scharen zu. Die scheinbar günstigen Angebote von Lederkombis renommierter Markenhersteller für Motorradbekleidung waren verlockend und das Bewertungsprofil erweckte Vertrauen, denn das Mitgliedskonto
• bestand bereits seit dem 17.06.2001
• hatte ca. 150 positive Bewertungen bekommen
• trug das Symbol für ein „geprüftes Mitglied“
Aber nicht alle Interessenten schüttelten ihre Skepsis so leicht ab, und ein Mitglied meldete seine Bedenken bereits am 28. und 29. Mai - also eine Woche vor dem Ausschluss des Verkäufers - über das eBay-Kontaktformular mit dem Betreff »Angebote mit möglichen betrügerischen Absichten« an. Er zählte dabei die von ihm wahrgenommenen Warnsignale deutlich auf:
»Angebotsdauer nur 1 Tag !
Die Waren werden zum Teil für Preise zwischen 250,- und 350,- €, also weit unter Wert, verkauft ! Der Verkaufspreis in einem "normalen" Geschäft liegt bei 829,- €.
Der Verkäufer hat in den letzten Monaten ca. 70 positive Bewertungen erhalten. Jedoch nur für Verkäufe von Waren mit geringem Wert.
Der Versand der Ware soll bis zu 14 Tage dauern können.
Die Ware kann nur per Überweisung gezahlt werden.
Der bei der Bankverbindung angegebene Kontoinhaber ist nicht identisch mit dem tatsächlichen Kontoinhaber.
Die Adresse des Verkäufers ist nicht identisch mit der des Kontoinhabers !
«
Auf alle Meldungen erhielt er die gleiche Antwort:
Vielen Dank für Ihre Mitteilung an das eBay-Sicherheitsteam. Sie bitten uns, ein Angebot oder einen Verkaeufer auf betruegerische Aktivitaeten hin zu untersuchen. Solche Hinweise werden von uns sehr ernst genommen und wir versichern Ihnen, dass wir Ihren Bericht so schnell wie moeglich (normalerweise innerhalb von 24 Stunden) pruefen werden.[…] Wir sind bemueht, Hinweisen ueber betruegerische Aktivitaeten moeglichst schnell nachzugehen und diese Aktivitaeten rechtzeitig zu verhindern. […]

Dadurch wurden die Bedenken des Mitglieds nicht gemindert, im Gegenteil: in den Schlusssätzen ist die steigende Gewissheit erkennbar. Zunächst formulierte er vorsichtig: »Möglicherweise verdächtige ich den Verkäufer auch zu Unrecht. Ich möchte Sie aber bitten, sich die Vorgänge bei diesem Verkäufer genau anzuschauen.«
Die nächste E-Mail endete nachdrücklicher: »Das sieht für mich alles sehr nach Betrug aus. Bitte schauen Sie sich die Vorgänge bei diesem Verkäufer mal sehr genau an«. Am Ende der dritten E-Mail vom 29.5.07 dann das eindringliche Ersuchen: »Bitte warnen Sie alle Mitglieder, die bei diesem Verkäufer gekauft haben oder zur Zeit auf Artikel bieten !«
Seine Sorge um die Mitglieder wurde von der eBay-Sicherheitsabteilung offenbar nicht geteilt: Kein Bieter oder Käufer erhielt eine Warnung - auch nicht, als der Verkäufer eine Woche später endlich vom eBay-Handel ausgeschlossen wurde.
Mit den gleichen Bedenken eröffnete Mitglied bubu.m im eBay-Forum Sicherheit eine Diskussion mit dem Titel: »Motorradbekleidung von "laritobi" - Schnaeppchenjaegers Feind?«
Als engagierter Schreiber zu Verbraucherschutzthemen bemängelte er zusätzlich: »Gesetzliche Vorgaben wie Impressum oder Widerrufsbelehrung sucht man vergebens.« und erhob schwere Vorwürfe: »Accounts wie "laritobi" belegen, daß eBay nicht willens ist, problematischen Anbieter mit ausufernden Angebotsmengen und rechtlich völlig unzureichenden Artikelbeschreibungen Einhalt zu gebieten. Verbraucher werden hier erheblichen Risiken ausgesetzt. Das Stillhalten von eBay ist eine Einladung für unseriöse Händler, Abzocker, Fake-Anbieter und Betrüger. Davon gibt es genug auf dieser Plattform. Verlieren tun dabei die Verbraucher und diejenigen Händler, die auf seriöse Art und Weise ihre Artikel absetzen wollen.«
Im Verlauf der Diskussion im eBay-Forum Sicherheit erfährt man das Ergebnis einer versuchten Kontaktaufnahme mit laritobi (durch Mitglieder, nicht durch das eBay-Sicherheitsteam) über die Telefonnummer in einer älteren Auktionsbeschreibung: Wegen der oben beschriebenen Vertrauen erweckenden Merkmale ist so ein Mitgliedskonto begehrt, und es war vom ursprünglichen Inhaber „vermietet“ worden. Er gab an, selber überrascht zu sein über die Summen, die in seinem Namen auf ein fremdes Konto transferiert wurden und erstattete selbst Anzeige bei der Polizei.
Eine Anzeige wird den Käufern wohl nicht mehr zu ihrem Geld verhelfen, sie können nur für einen Teil davon den eBay-Käuferschutz - eine Kulanzleistung ohne Rechtsanspruch - beantragen.
Der Weg durch den Käuferschutz-Antrag ist langwierig und klippenreich, Beratung dazu gibt es im eBay-Club „Ware von laritobi?“, in dem bisher 400 Mitglieder zum Informationsaustausch eingetroffen sind. Der Rest der 1100 Käufer wird wohl nichts wissen von der Existenz dieser Gruppe und der Diskussion im eBay-Forum, denn die zur Warnung abgegebenen Bewertungen mit der Empfehlung, bei Google nach dem Verkäufer zu suchen, wurden von eBay-Mitarbeitern gelöscht.
Wie wichtig war die Auszeichnung als „geprüftes Mitglied“ für die Kaufentscheidung bei „laritobi“?
»Das Zeichen "geprüftes Mitglied" hat natürlich die Entscheidung beeinflusst […]. Das suggeriert Sicherheit.« schreibt einer der Käufer, ein anderer erklärt: »Geprüftes Mitglied hat mich letztendlich gegen mein Bauchgefühl überweisen lassen.«
So wird es auch auf den eBay-Hilfeseiten erläutert: »Ihre Vorteile als "Geprüftes Mitglied": Sie genießen grundsätzlich ein höheres Vertrauen und Ihr Bewertungsprofil wird aufgewertet.«
Doch eBay selbst schränkt diese Aussage schon einige Abschnitte weiter ein:
»Bitte beachten Sie: Auch die Bezeichnung Geprüftes Mitglied bietet keinen hunderprozentigen Schutz gegen Missbrauch. Für die Richtigkeit der beim PostIdent-Verfahren geprüften Daten übernimmt eBay keine Gewährleistung.«
Nur die wenigsten wissen, dass beim PostIdent-Verfahren nicht die Anmeldeadresse verifiziert wird, sondern durch Vergleich mit einem Ausweis oder Pass lediglich die Identität geprüft wird, wie dies auch in den bereits beschriebenen Fällen der „geprüften Mitglieder“ 123georgijs und firmex-world der Fall war.

Ist jetzt mehr Sicherheit zu erwarten?

Abhilfe schaffen soll offenbar eine seit Juni 2007 in den eBay-Marktplatz-News beworbene neue Verfahrensweise: »„Geprüftes Mitglied“ - Das PostIdent-Verfahren wird schneller und einfacher“
Im Gegensatz zum bisherigen Prozess müssen Sie nicht mehr zur Post gehen, um Ihren Ausweis vorzuzeigen. Ab jetzt kommt der Postbote zu Ihnen. Und das zu einem von Ihnen gewünschten Termin.
«

Die geplanten Schritte in der Anleitung:
»1. Überprüfen Sie Ihre Adressdaten und legen Sie das Datum fest, an dem Ihr Postbote bei der angegebenen Adresse Ihre Identität überprüft.
2. Der Postbote überprüft Ihren Ausweis bzw. Reisepass.
3. Der Postbote übergibt Ihnen ein Schreiben mit dem Bestätigungscode samt Anleitung.
4. Geben Sie Ihren Bestätigungscode wie in der Anleitung beschrieben unter postident.ebay.de ein.
«

Man muss also zumindest am vereinbarten Tag unter der angegebenen Adresse erreichbar sein? Nicht ganz, ein Briefkasten mit Namensschild würde reichen, denn weiter unten heißt es:
»Falls Sie zuhause nicht angetroffen werden, erhalten Sie eine Benachrichtigungskarte. Sie können den Bestätigungscode dann gegen Vorlage dieser Karte und Ihres Personalausweises/Reisepasses bei Ihrer Postfiliale abholen.«
Ein Abgleich mit einem ordnungsgemäßen Eintrag beim Einwohnermeldeamt findet nicht statt.
Auch bei einem Umzug verschwindet das Vertrauen erweckende Zeichen nur, wenn das Mitglied selbst die Adresse in den hinterlegten Kontaktdaten ändert. Wird das „vergessen“, dann bleibt es auch zwei Jahre nach dem Umzug noch sichtbar, wie im Fall des Verkäufers ludwigs-markt, bei dem 700 geprellte Käufer nun versuchen, mit polizeilicher Hilfe den derzeitigen Aufenthaltsort festzustellen, um ihre Ansprüche durchzusetzen.
Gerade lange bestehende „geprüfte“ Mitgliedskonten, die ein gutes Bewertungsprofil aufweisen können, sind bares Geld wert: sie finden mehr Bieter und erzielen höhere Preise. Das weckt Begehrlichkeiten, ganze Serien von vermieteten Mitgliedskonten sind im eBay-Forum Sicherheit bekannt geworden, und „laritobi“ ist beileibe kein Einzelfall:
• Im Familienkreis werden Mitgliedskonten aus Gefälligkeit überlassen
• Mitarbeiter fühlen sich genötigt, der Firma ihr Mitgliedskonto zur Verfügung zu stellen
• Gute Freunde helfen einander bei einem Ausschluss vom eBay-Handel
• Jobsuchende lassen sich als Verkaufsagenten für dubiose Firmen anwerben
• Über das Internet werden in Chats Bekanntschaften geschlossen und Passwörter weitergegeben
Das Risiko wird den „Spendern“ oft erst bewusst, wenn die Kriminalpolizei vor der Tür steht.
In der eBay-Hilfe wird erklärt, wie förderlich das begehrte Zeichen auch für ganz neue Mitglieder ist, die einen kometenhaften Aufstieg planen:
»Ihre Vorteile als "Geprüftes Mitglied":
• Sie können Festpreisartikel (Sofort-Kaufen) anbieten
• Sie können mehrere Festpreisartikel auf einmal anbieten
• Sie können Multiauktionen starten
«
Aber auch für ehrliche Mitglieder wird ein unschätzbarer Vorzug auf der eBay-Hilfeseite „Schutz von unbefugten Anmeldungen“ angepriesen:
»Als Geprüftes Mitglied können Sie sich davor schützen, dass unbefugte Dritte sich mit Ihren Daten bei eBay neu anmelden.
Bitte beachten Sie, dass der Schutz der Anmeldedaten zurzeit nur Geprüften Mitgliedern zur Verfügung steht.
«
Der Zusatz macht klar: Wenn etwa ein Nachbar, Vereinskamerad, Bundestagsabgeordneter, Sportler oder gar Verstorbener nicht als „geprüftes Mitglied“ registriert ist, kann jedermann mit dessen Daten beim weltweiten Online-Marktplatz eBay ein Mitgliedskonto anmelden.

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