OLG Wien bestätigt:
eBay muss betrogenem Kunden
16.000 Euro Schaden ersetzen

Geändert am 09.11.2010
Update vom 09.11.2010
eBay hat gegenüber der Stiftung Warentest angekündigt, auf eine Revision zu verzichten. Die Urteile von St. Pölten und Wien seien »nicht nachvollziebar«, es handele sich um einen »Einzelfall«.

Das Urteil wäre damit rechtskräftig.

Zu der Frage, ob eBay in einem anderen Prozess das Landgericht Aurich getäuscht hat, wollte eBay-Sprecherin Fuest keine Stellung nehmen.

Das Oberlandesgericht Wien hat am 27.09.2010 in zweiter Instanz bestätigt, dass eBay einem Betrugsopfer über 16.000 Euro Schaden ersetzen muss (AZ: 1 R 182/10g).
Die Berufung eBays gegen ein entsprechendes Urteil des Landesgerichts St. Pölten / Niederösterreich vom 31.03.2010 (»falle-internet.de« berichtete) wurde in allen Punkten als unbegründet verworfen und eBay erneut eine grob fahrlässige Verletzung von Sorgfaltspflichten attestiert, die zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet.
Der Kläger hatte im September 2007 bei dem deutschen eBay-Powerseller »ML-Agentur« Goldbarren gegen Vorkasse erworben, die nie geliefert wurden. Erst nach dem missglücktem Kauf erfuhr der Kunde, dass eBay trotz monatelanger und nachdrücklicher Warnungen vor den riskanten Geschäftspraktiken des Goldhändlers nichts unternommen hatte, um Käufer vor einem Schaden zu schützen. Daraufhin reichte er - vertreten durch RAA Dr. Gabriela Richter (Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG, St. Pölten) - Klage gegen eBay ein.
Das OLG Wien bestätigt mit seinem Beschluss, dass die Sorgfaltspflichten eBays nicht bloß aus dem Nutzungsvertrag mit dem Kläger folgen. Vielmehr können sie bereits auf den »zwischen der Beklagten und dem Verkäufer geschlossenen Nutzungsvertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter« gestützt werden. Auf dieses Vertragsverhältnis sei »mit Blick auf den in Deutschland ansässigen Verkäufer deutsches Recht anzuwenden, das sich jedoch in diesem Punkt vom österreichischen Recht nicht unterscheidet«. Das Urteil dürfte somit auch für Deutschland richtungsweisend sein; diese Einschätzung wird von deutschen Fachanwälten geteilt.
eBay-Kunden können mithin nach Ansicht des OLG Wien darauf vertrauen, dass eBay seine AGB bei Vorliegen konkreter und nachprüfbarer Informationen über Verstöße zum Schutz der Kunden konsequent umsetzt und Verkäufer entsprechend sanktioniert oder vom Marktplatz ausschließt. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung ist das Verfahren zur Revision vor dem Obersten Gerichtshof zugelassen.

  Beispielhaftes Angebot vom „ml-agentur“: zwei Jahre Haft auf Bewährung wegen gewerbsmäßigen Betrugs in 113 Fällen gegen Goldhändler M. L. (AG Wangen, Urteil vom 26. Januar 2010, AZ: Ds 12 Js 23818/07)

Berufung: „weitwendig“, aber substanzlos
Mit einem 86-seitigen Berufungsschriftsatz stemmten sich die Anwälte eBays gegen das erstinstanzliche Urteil und rügten die vermeintliche Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtige Tatsachenfeststellungen, Beweis- und rechtliche Würdigung, Aktenwidrigkeit sowie sekundäre Verfahrensmängel. Der zuständige Senat des OLG Wien konnte den »weitwendig[en]« Ausführungen jedoch nicht folgen und hielt »die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich«. Ein entsprechender Antrag eBays wurde mangels Rechtsgrundlage zurückgewiesen.
Obwohl der Beschwerdeschrift durch ungewöhnlich häufige Unterstreichungen Nachdruck verliehen wurde und die Worte »tendenziös«, »unsachlich«, »voreingenommen« und »einseitig« insgesamt mehr als 50 Mal vorkommen, fehlt in weiten Teilen die Substanz. So stellt das Gericht beispielsweise fest: »Den Seiten 14 bis 26 [...] ist nicht zu entnehmen, welche konkreten Feststellungen die Beklagte damit bekämpft.«
Der Zurückweisungsbeschluss gegen die Berufung folgt konsequenterweise in allen relevanten Punkten der in der Berufungserwiderung knapp und sachlich dargelegten Rechtsansicht der Kanzlei Urbanek Lind Schmied Reisch.
Einen wesentlichen Verfahrensmangel sah eBay vor allem in der Befragung der Zeugen und des Klägers. Die Einvernahme des Klägers nach den Zeugen sei »unüblich«. Ebenfalls hätte es der Beklagten zum Nachteil gereicht, dass beide Zeugen während der gesamten Verhandlung im Raum belassen wurden und damit ggf. die Aussagen des jeweils anderen korrigieren konnten. Zuletzt habe der Richter unterschiedlich detailliert befragt und sei seiner »Anleitungspflicht« gegenüber der geladenen eBay-Mitarbeiterin nicht nachgekommen.
Das OLG Wien konnte in keinem der Punkte Verfahrensmängel erkennen, zumal eBay die angeblich benachteiligende Verfahrensgestaltung des Erstrichters nicht in der Verhandlung, sondern erst mit Vorliegen des Urteils auffiel. Die Berufung könne insbesondere nicht aufzeigen, inwieweit eine erschöpfende Behandlung der Rechtssache behindert wurde. Die Vorwürfe, die beiden Zeugen wären unterschiedlich detailliert befragt worden, seien »allgemein gehalten und lapidar«, eine Beschränkung der Parteienvertreter in ihrem Fragerecht »nicht ansatzweise ableitbar«. Eine angebliche Anleitungspflicht des Richters gegenüber den Zeugen sähe die österreichische Zivilprozessordnung schlicht nicht vor. Im Übrigen sei auch nicht zu prüfen, ob die Verfahrensführung »unüblich« gewesen sei, sondern lediglich, ob sie gegen die Zivilprozessordnung verstoßen habe. Dies sei nicht der Fall.
Die Glaubwürdigkeit der Zeugen aus der Sicht von eBay
Eine weitere Strategie der Berufung bestand darin, den von der Klägerseite benannten Zeugen M. (*), der detailliert das monatelange und systematische Versagen der eBay-Sicherheit belegt hatte, zu diskreditieren. Die Meinung des Erstgerichts, bei M. handele es sich um einen »uneingeschränkt glaubwürdigen« Zeugen und bei seiner Aussage um ein »Musterbeispiel für exakte Recherche«, die »in jeder Hinsicht um Wahrheitsfindung bemüht« und »redlich« sei, wollten eBays Anwälte nicht teilen.
Stattdessen verfolge M. eine »Agenda«, sei gegenüber eBay voreingenommen und würde »bloß billig Stimmung machen«. Dem Zeugen wurde »Geltungsdrang und Sendungsbewusstsein« vorgeworfen, seine »Spekulationen und Behauptungen« seien »anmaßend«. Demgegenüber stehe die »besonders glaubwürdige« Aussage der eBay-Mitarbeiterin K., die beweise, dass eBay »sehr wohl umfassende Kontrollmaßnahmen gesetzt hat«. Ihre »profunden« und »lebensnahen« Kenntnisse habe Frau K. »durch Einsicht in die zentrale Kundendatenbank erworben«.
Diese Kenntnisse würdigt das OLG Wien wie folgt: »Die Zeugin musste allerdings einräumen, [...] dass sie [die] Unterlagen nicht selbst gesehen hat. Sie wusste auch nicht, ob zum Verkäufer [...] Kontakt aufgenommen wurde« und konnte »die konkrete Reaktion auf den Hinweis [...] auf einen eindeutigen Verstoß gegen die AGB« nicht schildern. Zu den Vorkommnissen bis Juli 2007 und zu einer angeblichen Überprüfung des Verkäufers »ML-Agentur« im Juli oder August 2007 könne die Zeugin »nichts sagen«. »Schließlich wusste die Zeugin auch nicht, welche Limitierungen dem Verkäufer auferlegt wurden.«
»Insgesamt können die protokollierten Aussagen der Zeugin K. daher weder den Eindruck decken, dass es sich um eine sonderlich gut informierte Zeugin handelte, noch dass die Beklagte die eindringlichen Warnhinweise ernsthaft und umfassend beachtet hat.« Die Beweisrüge sei daher erfolglos.
eBay scheitert auch mit Befangenheitsantrag
Bereits zuvor war eBay auch beim Befangenheitssenat des Landesgerichts St. Pölten mit einem Ablehnungsantrag gegen den Erstrichter gescheitert (AZ: 10 Nc 21/10i). Dieser hätte »eine komplett einseitige Entscheidung getroffen«, eine »rufschädigende Medienkampagne gefördert«, mit seiner »offenbar voreingenommenen Betrachtungsweise« eine »bedenkliche« Verhandlungs- führung gezeigt und habe »polemisch und unsachlich« »mit zweierlei Maß gemessen«.
Insbesondere die Bemerkung, dass die Erklärung der Zeugin K. zur »komplizierten inneren Kommunikation im Unternehmen« an die »Trägheit sowjetischer Beamtenapparate« erinnere, sei eine gezielte und vorsätzliche Herabsetzung der Beklagten und der Zeugin, die geeignet sei, »das Vertrauen der Bevölkerung in eine unbefangene Justiz zu untergraben«.
Das Landesgericht St. Pölten konnte dieser Sichtweise nicht folgen: »Bei allem Verständnis für die subjektive Unzufriedenheit der beklagten Partei mit dem vorliegenden Urteil und auch dem Unbehagen angesichts des Medieninteresses an dieser im Urteil verwendeten Formulierung entbehren ihre Ausführungen zu einer angeblichen Befangenheit einer objektivierbaren Grundlage.«
»[Der Richter] verweist in seiner Stellungnahme zum Ablehnungsantrag begrüßenswerterweise darauf, dass er seine Urteile generell pointiert zu formulieren pflege und es ablehne, sich hinter verwaschenen Phrasen oder verstaubtem Kanzleideutsch zu verkriechen, da derartiges der Präzision und Veranschaulichung des Sachverhalts sowie dessen Würdigung schade. Der Leser, der bei den Beweisaufnahmen nicht dabei gewesen sei, solle sich ein möglichst präzises und lebendiges Bild von den Beweisergebnissen machen können.«
»Wenn er weiters anmerkt, dass die Beklagte, die ihre Kunden [...] „förmlich ins offene Messer laufen lasse“ [...] und Warnhinweise [...] „hartnäckig ignoriere“, es sich auch gefallen lassen müsse, dass solche Tatsachen im Falle eines Schadens von einem Gericht klar und deutlich ausgesprochen werden, ist diesen Ausführungen weder etwas entgegenzusetzen noch Kritik daran zu üben.«
Die Abweisung des Befangenheitsantrags ist rechtskräftig.
falle-internet.de meint:
„Die Entscheidung, ob ein Verstoß gegen unsere Grundsätze vorliegt, liegt allein bei eBay“ und „Ein Verstoß gegen einen unserer Grundsätze kann eine oder mehrere der folgenden Konsequenzen nach sich ziehen“- Diese Sätze aus den AGB und eBay-Grundsätzen sind mit dem Beschluss des OLG Wien endgültig überholt:

»Die Verwendung des Wortes "kann" im Zusammenhang mit der Verhängung bestimmter Sanktionen bedeutet nicht, dass [eBay] ungebundenes Ermessen zukommt. [...] Liegt nun ein derartiger Verstoß tatsächlich vor, ist [eBay] verpflichtet, alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um die anderen Nutzer vor einem Schaden zu bewahren (rechtliches Müssen).«

Dass es nach über 15 Jahren eBay eines Gerichtsurteils bedarf, um diese Selbstverständlichkeit klarzustellen, wirft ein trauriges Licht auf das Maß an Verantwortlichkeit, das eBay seinen zahlenden Kunden gegenüber empfindet.

(*) M. ist Mitglied von »falle-internet.de«

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