Urteil: eBay muss betrogenem Kunden
16.000 Euro Schaden ersetzen

Geändert am 08.04.2010
Update vom 08.04.2010
Aufgrund einer Vielzahl von entsprechenden Anfragen hat sich »falle-internet.de« in Absprache mit der Klägerseite zur Veröffentlichung des Urteils des Landesgerichts St. Pölten im Volltext entschlossen. Die Namen von Verfahrensbeteiligten, Zeugen und benannten Dritten sind - soweit öffentlich nicht bekannt - anonymisiert worden. Das Urteil kann unter folgendem Link als .pdf-Datei heruntergeladen werden:

zum Urteil [pdf, 2.2 MB]

»falle-internet.de« bedankt sich für die Genehmigung zur Veröffentlichung bei den Beteiligten und lädt alle Interessenten zur laufenden Diskussion in das öffentliche eBay-Forum „Sicherheit“ ein:

zur Diskussion...

07.04.2010
Das Landesgericht St. Pölten (Niederösterreich) hat am 31.03.2010 einem eBay-Nutzer 16.463 Euro Schadenersatz zugesprochen. Dieser hatte im September 2007 bei einem deutschen eBay-Powerseller namens »ML-Agentur« Goldbarren gegen Vorkasse erworben, die dann nicht geliefert wurden.
Erst nach dem missglücktem Kauf erfuhr der Kunde, dass eBay in den vorausgegangenen Monaten in Mails, Telefonaten und Forenbeiträgen nachdrücklich vor diesem Händler gewarnt wurde.
Allerdings hatte der Plattformbetreiber daraufhin nichts unternommen, um Käufer vor einem Schaden zu schützen.
Der geschädigte Käufer reichte über die Anwaltskanzlei Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG (St. Pölten) Klage gegen eBay ein. Prozessvertreterin war RAA Dr. Gabriela Richter. Das Gericht gab der Klage im vollen Umfang statt und führte im Urteil (AZ 4 Cg 144/08i) aus:
»Die Beklagte wäre aufgrund der Vielzahl von Warnungen, die ihr insbesondere von B. mitgeteilt wurden, aufgrund des zwischen den Parteien mit Teilnahme an der Versteigerung durch den Kläger geschlossenen Nutzungsvertrages verpflichtet gewesen, die ML-Agentur - trotz des guten Geschäftes, das sie mit ihr machte -, sorgfältig zu überprüfen und aufgrund der Verstöße gegen die eBay-Grundsätze und gegen die Power-Seller-Bestimmungen entsprechend zu sanktionieren. [...]«
»Die Beklagte haftet daher aufgrund einer an bedingten Vorsatz grenzenden grob fahrlässigen Verletzung von vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten aus ihrem Nutzungsvertrag mit dem Kläger [...] für den gesamten eingetretenen Schaden.«
Das Gericht lehnte zuvor den Antrag eBays ab, sich für nicht zuständig zu erklären. eBay wollte erreichen, dass das Verfahren am Standort Potsdam geführt wird. Gegen das Urteil vom 31.03.2010 kann beim zuständigen Oberlandesgericht noch Berufung eingelegt werden.
Hochriskante Goldverkäufe
Der Gold-Verkäufer »ML-Agentur« hatte seinen Geschäftssitz in Wangen im Allgäu. Dank der hohen Umsätze von monatlich ca. 400.000 Euro verlieh eBay dem Händler das Vertrauenslogo »Platin-Powerseller«. Zu diesem Logo teilte eBay auf der Website damals potentiellen Käufern mit:
»PowerSeller sind Verkäufer, die besonders professionell bei eBay handeln und von eBay für das PowerSeller-Programm ausgewählt wurden. Das herausragende Bewertungsprofil und die strengen Auflagen, die PowerSeller erfüllen müssen, können Ihnen als Käufer ein sicheres Gefühl geben. [...] Achten Sie daher bei Ihren Käufen auf das PowerSeller-Symbol neben dem Mitgliedsnamen!«
Statt der in der eBay-AGB geforderten »unverzüglichen« Lieferung bekamen die Kunden von »ML-Agentur« ihr Gold erst nach 4 bis 8 Wochen. Der Händler akzeptierte auch regelmäßig Auktionserlöse für Goldbarren, die unterhalb der Ankaufspreise von Banken lagen. In seinen Artikelbeschreibungen behauptete er wahrheitswidrig: »Wir sind Paypal und Ebay verifiziert, d.h. dass alle Artikel die angeboten werden auch in unserem Besitz sind.« Dieses Geschäftsgebaren war typisch für eine Art Pyramidensystem, bei dem neue Einnahmen dazu dienen, längst fällige Verbindlichkeiten zu begleichen. Das wurde so auch in dem späteren Insolvenz- bzw. Strafverfahren gegen den Inhaber Michelangelo L. bestätigt (AG Ravensburg).
Dem Gericht in St. Pölten lag bei der mündlichen Verhandlung am 8. März 2010 eine lange Liste von Hinweismails und Forenbeiträgen vor, die auch eBay 2007 bekannt gewesen waren. Darunter war auch ein Presse-Beitrag von »falle-internet.de« zu den Risiken des Goldhandels bei eBay. Ausgangspunkt dieses Artikels war die betrügerische Pleite eines anderen großen eBay-Goldverkäufers aus Juli 2007. In dem Beitrag wurde ausdrücklich auch auf die ähnlich gelagerten und zu diesem Zeitpunkt noch laufenden Verkäufe von »ML-Agentur« verwiesen.
eBay: untätig trotz massiver Hinweise
Im eBay-Sicherheitsforum wurde eBay bereits Monate vor der Pleite von »ML-Agentur« die offensichtliche Untätigkeit vorgehalten: Weder die überlangen Lieferzeiten noch die falschen Versprechen von »ML-Agentur« zur Warenverfügbarkeit wurden von eBay bemängelt. Der Händler durfte weiterhin mit der Auszeichnung "Powerseller" werben und Treuhand als sichere Möglichkeit der Zahlung ausschließen, obwohl die entsprechenden Fakten sowohl von der eBay-Sicherheitsabteilung als auch den Mitarbeitern, die die hauseigenen Foren betreuten, zur Kenntnis genommen worden waren. Die Diskussionsteilnehmer mutmaßten daraufhin, dass der Plattformbetreiber lieber Gebühren kassiere als etwas zum Schutz der Kunden zu tun.

  Ausschnitt aus einer Diskussion im eBay-Forum „Sicherheit“

In ihrem Schriftsatz und während der Beweisaufnahme führten die eBay-Anwälte hingegen an, dass »keine Sorgfaltspflichtverletzung durch die Beklagte vorliegt«. Die zuständige eBay-Betreuerin habe mit dem Händler regelmäßig in Kontakt gestanden. Außergewöhnliche Risiken seien nicht zu erkennen gewesen. Für Maßnahmen wie z.B. den Entzug des Powerseller-Status habe es keine Rechtfertigung gegeben. Andererseits wurde dem Kläger vorgehalten, er selbst habe sich nicht ausreichend über Risiken informiert. So habe er z.B. auch die Möglichkeit gehabt, die angeführten Warnungen in den Foren vor seinem Kauf zu finden und zu lesen.
Der Beklagten sei es wichtig gewesen, »für entsprechende Transparenz zu sorgen«, das Forum sei »eine wichtige Informationsquelle« »auf Basis der Meinungsfreiheit«. Als in der letzten Woche diese Argumentation der eBay-Anwälte im betreffenden Forum gepostet wurde, hat eBay die entsprechenden Beiträge gelöscht. Ebenfalls von der Löschung betroffen waren weitere Aussagen aus der öffentlichen Anhörung vor dem Landesgericht, die sich mit den Ursachen des Versagens sämtlicher Kontrollinstanzen beschäftigten.

„Transparenz auf Basis der Meinungsfreiheit“

Von den erfahrenen Foren-Teilnehmern waren im Diskussionsverlauf viele Diskrepanzen zwischen eBays Argumenten im Verfahren und der Realität aufgezeigt worden. Eine als Beweis vorgelegte (beispielhafte) Artikelbeschreibung enthielt andere Links, als sie die Angebote des Verkäufers »ML-Agentur« aufwiesen. Sie führten zum »Sicherheitsportal«, welches zum Kaufzeitpunkt 2007 in der vorgebrachten Form noch gar nicht bestand. Auch die Vorhaltungen an den Kläger, er hätte sich durch »den besonderen Käuferschutz bei PayPal-Zahlung« absichern können, wurden mit zeitlich, örtlich und sachlich unpassenden Belegen untermauert: die Transaktion wäre - wie viele andere eBay-Artikel auch - vom PayPal-Käuferschutz gar nicht abgesichert gewesen.
Auf das Urteil hatten diese Darstellungen eBays keine Auswirkungen. Der Richter befand, das entsprechende Vorbringen sei »wenn auch – wie hier – ohne Treuhandservice und ohne PayPal-Zahlung gekauft werden kann, unverständlich bis zynisch«.
Laut des Insolvenzgutachtens vom 20.02.2008 lag der durch »ML-Agentur« verursachte Gesamtschaden bei rund einer Millionen Euro. Neben dem Kläger aus Österreich gibt es mehrere Dutzend weitere Geschädigte, die das Urteil noch zum Anlass nehmen könnten, ebenfalls Klage gegen eBay einzureichen.
falle-internet.de meint:
Das Urteil des Landesgerichts St. Pölten stellt in erfreulicher Klarheit heraus, dass eBay nicht bloß »die Plattform stellt«, wie in der öffentlichen Darstellung oft behauptet.

Stattdessen hat eBay als Betreiber eines »weltweiten Online-Marktplatzes« selbstverständlich Schutz- und Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Dies gilt insbesondere, wenn mit Vertrauenslogos und Sicherheit offensiv geworben wird.

Was die Nutzer als Verantwortung eBays bezeichnen, hat das Landesgericht St. Pölten nun in Form von Haftung verordnet. Das Urteil ist ein Erfolg für den Verbraucherschutz.


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