eBay und die Wahrheit vor Gericht

Geändert am 08.11.2010
Den Schadensersatzprozess von St. Pölten und die Berufung vor dem Oberlandesgericht Wien hat eBay verloren und muss einem geschädigten Käufer über 16.000 Euro nebst Auslagen und Zinsen sowie mittlerweile rund 10.000 Euro Prozesskosten ersetzen. Zu erdrückend war die Beweislage, dass eBay über Monate hinweg Warnungen vor dem unseriösen Händler »ml-agentur« »hartnäckig ignorierte« und die betroffenen Kunden damit »ins offene Messer laufen ließ«.
Auch in Deutschland hatte ein betrogener Käufer von »ml-agentur« gegen eBay geklagt. Den Prozess vor dem Landgericht Aurich (AZ: 2O 979/08) hat eBay gewonnen - und zwar deutlich, wie das entsprechende Urteil bezeugt. Nicht umsonst hat eBay versucht, das auf den ersten Blick günstige Urteil von Aurich auch in der Verhandlung in Österreich als Argument ins Feld zu führen.
Es gibt eine Reihe von Gründen dafür, dass der deutsche Kläger gegen eBay nicht erfolgreich war. Trotz eines Zeitrahmens von über einem Jahr hatte die Klägerseite prozessrelevante Unterlagen aus der Ermittlungsakte der zugehörigen Strafsache nicht beigebracht und auch für die Zahlung des eingeklagten Betrages an »ml-agentur« die Belege nicht vorgewiesen. Die Arbeit der Klagevertretung war nicht so gewissenhaft wie im österreichischen Prozess; wichtige Urkunden und Zeugen waren dem Kläger nicht bekannt.
eBay konnte deshalb mit zwei wesentlichen Argumenten zum zuständigen Richter durchdringen: Man hätte keine Kenntnis von Unregelmäßigkeiten beim Verkäufer »ml-agentur« gehabt, und der Käufer hätte seinen Schaden selbst zu verantworten, da er angebotene Sicherheitsmaßnahmen wie den Treuhandservice oder die Zahlungsmethode „PayPal“ bewusst nicht genutzt habe.
Beide Argumente sind allerdings nicht bloß konstruiert, sondern schlicht unwahr, wie der Prozess von St. Pölten einige Monate nach dem Auricher Urteil ans Licht brachte. Dass nachweislich weder Treuhandservice noch „PayPal“ zur Bezahlung der Transaktionen mit »ml-agentur« zur Verfügung standen, quittierte der österreichische Richter mit der Formulierung, das entsprechende Vorbringen eBays sei »unverständlich bis zynisch« und maß den dazu von eBay vorgelegten Unterlagen keine wesentliche Prozessrelevanz bei.
Diese Urkunden aus dem Jahr 2009 (!) sollten belegen, dass es bereits 2007 bei eBay ein Sicherheitsportal mit entsprechenden Hinweisen zur Gefahr der Abwicklung von Transaktionen ohne Treuhandservice gegeben habe und dass eine Bezahlung via „PayPal“ den Käufer »zu 100%« geschützt hätte - dieselbe Argumentation, mit der eBay am Landgericht Aurich zuvor erfolgreich gewesen war.
Ein Blick in die »eBay-News« offenbart allerdings die Wahrheitswidrigkeit der eingebrachten Dokumente: Das Sicherheitsportal in der vor Gericht beurkundeten Form stammt vom 11.02.2008 (und wurde seitdem noch mehrfach verändert und z.B. den neuen Käuferschutz-Summen angepasst). Auch der behauptete »unbegrenzte« „PayPal“-Käuferschutz existierte zum Zeitpunkt der Transaktionen 2007 nicht. Wiederum geben eigene Mitteilungen von eBay darüber Auskunft, dass dessen Deckungssumme im Februar 2008 von ursprünglich 500 auf 1.000 Euro angehoben wurde, bevor am 01.09.2008 die Obergrenze schließlich ganz wegfiel.
Zu Recht wies die klagevertretende RAA Dr. Gabriela Richter in ihrer Berufungserwiderung an das OLG Wien darauf hin, »dass es die beklagte Partei mit ihren Prozessbehauptungen im Verfahren zu der „ML-Agentur“ mit der Wahrheit offensichtlich [...] nicht so genau nimmt, was dem [...] vorgelegten Urteil des Landesgerichtes Aurich [...] zu entnehmen ist.« Die dort geführte Argumentation stehe im diametralen Gegensatz zu den Behauptungen des gegenständlichen Verfahrens.
eBay hatte dem Landgericht Aurich gegenüber behauptet, erstmals am 12.11.2007 von der Insolvenz von »ml-agentur« erfahren zu haben. »Zuvor [...] habe [eBay] keine Anhaltspunkte dafür erhalten, dass der Anbieter „ml-agentur“ in Betrugsabsicht handelte, ihm die Insolvenz drohte oder er aus anderen Gründen seine über eBay abgeschlossenen Handelsgeschäfte nicht so erfüllte, dass er für andere eBay-Nutzer keine Gefahr darstellte.«
Die Beweisaufnahme vor dem Landesgericht St. Pölten zeichnete jedoch ein gegenteiliges Bild; eBay hatte konkret mindestens die folgenden Warnungen erhalten:
  • E-Mail von 24.01.2007 zu regelmäßigen AGB-Verstößen von »ml-agentur«,

  • Beiträge im eBay-Sicherheitsforum vom 10.07.2007 und 11.07.2007 zu den AGB-widrigen Lieferzeiten von »ml-agentur« und den Gefahren einer solchen „Vorkasse-Pyramide“ und dem Hinweis, dass »ml-agentur« die verkauften Waren erst mit Kundengeldern beschafft, was auf dem eBay-Markplatz aus guten Gründen nicht erlaubt ist,

  • E-Mail vom 16.07.2007 an eine nicht-öffentliche Mailadresse, die direkt von einem Spezialistenteam bearbeitet wird, Thema u.a. der dauerhafte Verkauf von »ml-agentur« unter dem Banken-Ankaufspreis für Gold,

  • Telefonat vom 17.07.2007 mit dem zuständigen „Specialist“ für Risikoanalyse,

  • Beitrag zu den Risiken des Goldhandels bei eBay vom 22.07.2007 auf »falle-internet.de«,

  • Mehrfache Meldungen im August und September durch einen Vorstand im Bundesverband des deutschen Münzfachhandels über den normalen eBay-Kundenservice,

  • Meldung Anfang September über den Powerseller-Kundenservice (mit Rückmeldung und der Versicherung, »alle Aktivitäten genauestens [zu] überprüfen«),

  • Erneuter Beitrag im eBay-Sicherheitsforum vom 13.09.2007 zu den Risiken bei »ml-agentur« und irreführenden Angaben des Händlers zur Warenverfügbarkeit

eBay selbst hatte in Österreich argumentiert, aufgrund dieser Hinweise »die dafür vorgesehenen konzerninternen Prüfungsmechanismen eingeschalte[t]«, »außer-ordentliche« Prüfungen im Januar und Juli/August 2007 vorgenommen und »im vorliegenden Eskalationsfall« »Nachweise über den Besitz der Ware« angefordert zu haben. Schließlich sei »ml-agentur« »im Herbst 2007« limitiert worden, bevor »nach Mitteilung der Insolvenz das Konto schließlich komplett gesperrt [wurde]«.
Zwar konnte eBay die angeblich ergriffenen umfangreichen Maßnahmen vor Gericht ebenfalls nicht belegen - die Aussagen stehen aber zur Erklärung vor dem Landgericht Aurich, vor der Insolvenz »keine Anhaltspunkte« erhalten zu haben, dass der Verkäufer »für andere eBay-Nutzer [eine] Gefahr darstellte«, in offensichtlichem Widerspruch.
Sicherlich hätte es am Anwalt der Klägerseite gelegen, entsprechende Behauptungen von eBay zu bestreiten. Trotzdem beruht eBays Prozesserfolg vor dem Landgericht Aurich vor allem auf dem Vorbringen unwahrer Tatsachenbehauptungen.
falle-internet.de meint:
Offensichtlich ist die Wahrheit vor Gericht für eBay optional, wenn es den eigenen Interessen dient.

Obwohl Prozessbetrug eine Straftat ist und unter Umständen auch die Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens rechtfertigt, werden dem Kläger von Aurich die Erkenntnisse aus dem österreichischen Prozess wahrscheinlich nicht mehr nutzen.

In einem etwaigen Strafprozess besteht keine Verpflichtung, sich selbst zu belasten. Aus guten Gründen bleibt in einem Rechtsstaat für einen Angeklagten - im Gegensatz zum Zivilprozess - auch eine Lüge vor Gericht straffrei.

Die prozessverantwortlichen Mitarbeiter von eBay könnten ihr unwahres Vorbringen vor dem Landgericht Aurich deshalb gefahrlos mit der »komplizierten inneren Struktur« des Unternehmens, fehlenden Informationen und Abstimmungsmängeln zwischen den Abteilungen erklären - völlig unabhängig davon, ob dies der Wahrheit entspricht oder nicht.


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