Verpasste Reformen beim eBay-Bewertungssytem

Geändert am 22.05.2008
Verkäufer bei eBay können ab dem 22. Mai nur noch positive Bewertungen für ihre Kunden abgeben. Das schützt Käufer vor ungerechtfertigten „Rachebewertungen“ und soll sie ermuntern, das Bewertungssystem unvoreingenommen zu benutzen. Zusätzlich haben Käufer seit rund einem Jahr die Möglichkeit, ihren Verkäufer in den Einzelkategorien Versandzeit und –kosten, Artikelbeschreibung und Kommunikation zu benoten. Diesen detaillierten Verkäuferbewertungen wird in Zukunft eine große Bedeutung zukommen, denn sie entscheiden mit über die „Einschränkungen des Handelsvolumens“, die von eBay vorgeschriebenen Zahlungsmethoden und die prominente Platzierung der Angebote auf den eBay-Seiten.
Die Maßnahmen sollen das Einkaufserlebnis bei eBay verbessern und »[…] vor allem Käufern helfen, die Seriosität und Qualität eines Verkäufers beurteilen zu können.« Doch auf den zweiten Blick zeigt sich: Die Bewertungsreform zeichnet sich vor allem durch Halbherzigkeit und verpasste Chancen aus.
Jahrelang bekannte Lücken des Bewertungssystems können weiterhin ausgenutzt werden, um Käufern eine nicht vorhandene Seriosität vorzugaukeln. Die Warnung vor konkreten Betrugsfällen hingegen wird erschwert und zum Teil unmöglich gemacht.
Gleichzeitig schafft eBay sich mit der Kopplung der detaillierten Verkäuferbewertungen an die »Verkäufer-Standards« ein Instrument, um auf die Vertragsgestaltung der Verkäufer Einfluss zu nehmen.
Detaillierte Verkäuferbewertungen

Detaillierte Verkäuferbewertungen

Die detaillierten Verkäuferbewertungen beeinflussen, ob die Angebote des Verkäufers bei einer Suche an prominenter Stelle erscheinen und damit vielen Interessenten präsentiert werden, oder ob sie auf die hinteren Plätze der Ergebnisanzeige verwiesen werden. Dieser direkte Einfluss auf den Umsatz wird von eBay gesteuert, seit im Februar 2008 eine neue Standard-Sortierung der Suchergebnisse eingeführt wurde. Wurden früher die bald endenden Angebote zuerst angezeigt, sind es nun die »beliebtesten Artikel«. Wie beliebt ein Artikel ist, bemisst eBay unter anderem an den Versandkosten; sie sollen möglichst niedrig sein, denn dafür werden keine Verkaufsprovisionen erhoben.

Beliebteste Artikel

Rechtzeitig zum Start des neuen Bewertungssystems stellt eBay den Verkäufern ein neues Logo für „kostenlosen Versand“ zur Verfügung und erhöht den Schwellenwert für das Kriterium „Verpackungs- und Versandkosten“ für die Schlechterstellung in den Suchergebnissen von 3,5 auf 4,0. Viele Verkäufer hatten bereits im letzten Jahr reagiert und ihre Versandkosten in die Artikel eingepreist, um in den detaillierten Verkäuferbewertungen den Ansprüchen der Kunden genügen zu können. Doch offenbar reicht nicht einmal „kostenloser Versand“ aus, um die höchstmögliche Punktzahl von 5,0 zu erreichen:

Dieser Händler hat eine durchschnittliche Bewertung von 4,8 bei den Versandkosten...


...obwohl er seine Artikel kostenlos versendet.

Bei eBay Deutschland enden täglich mehr als eine Millionen Angebote. Rund zwei Drittel davon finden einen Käufer. Falls die Händler durchschnittlich einen Euro ihrer Versandkostenpauschale auf den Artikelpreis umlegen, entstehen (bei einer angenommenen Verkaufsprovision von 6%) Mehreinnahmen von 40.000 Euro pro Tag - bei gleichbleibender Leistung eBays. Die neuen »Verkäufer-Standards« könnten so allein in Deutschland zu Mehreinnahmen von 15 Millionen Euro im Jahr führen. Dabei ist zu erwarten, dass die Kriterien für die Artikelsuche weiter verschärft werden. In den USA ist bereits jetzt eine durchschnittliche Versandbewertung von 4,5 erforderlich, um unter den „beliebtesten Artikeln“ oben gelistet zu werden.
Versandkosten sind im Allgemeinen vor dem Kauf aus der Artikelbeschreibung ersichtlich. Für eine „bessere Kauferfahrung“ sorgt dieses Auswahlkriterium von eBay daher nicht.
Performance-Regel
Bereits im August 2007 wurde die sogenannte »Performance-Regel« eingeführt: »Unterdurchschnittliche Leistungen eines Verkäufers« konnten ab einem Prozentsatz von 5% nicht-positiven Bewertungen oder Beschwerden wegen nicht erhaltener Artikel Einschränkungen des Handelsvolumens nach sich ziehen. Zu den neuen »Verkäuferstandards auf eBay« werden künftig auch die detaillierten Verkäuferbewertungen zusätzlich herangezogen. Erhält ein Verkäufer eine Wertung von eins oder zwei in nur einer der vier Kategorien, betrachtet eBay seinen Kunden als „unzufrieden“ und zählt die Transaktion ebenfalls zu den „unterdurchschnittlichen“.
Bei dieser Berechnung werden jedoch auch positive Bewertungen für Einkäufe des Verkäufers mit herangezogen. Außerdem wird nicht unterschiedlich gewertet, ob die erhaltenen Bewertungen für 1-Euro-Artikel oder für hochpreisige Waren erteilt wurden.
Mit dem Verkauf von Billigartikeln können also weiterhin ungünstige Bewertungen wegen zu langer Lieferfristen für teure Ware ausgeglichen werden. Wenn die Verkäufer eine Dringlichkeit zu Aufbesserung des Bewertungsprofils sehen, beschleunigen sie das Verfahren durch Versand bereits vor der Bezahlung und erhalten in der Regel umgehend eine positive Bewertung vom angenehm überraschten Käufer. Wenn dazu noch die Versandkosten niedrig sind, wird der Käufer auch in den detaillierten Verkäuferbewertungen dafür hoch werten.
Unseriöse Händler können so trotz der neuen Bewertungskriterien über einen langen Zeitraum die Vorkassezahlungen ihrer Kunden einsammeln. Betreffen wird die Neuregelung hingegen vor allem Privatverkäufer. Da für die Berechnung von „unterdurchschnittlichen Leistungen“ nur die Bewertungen der letzten 90 Tage berücksichtigt werden, reicht bei einem Gelegenheitsverkäufer unter Umständen eine einzige Negativbewertung aus, um von den Einschränkungen betroffen zu werden.
PayPal - ein eBay-Unternehmen
Das ist vor allem bedenklich, weil eBay als zusätzliche Sanktionsmaßnahme die Akzeptanz von PayPal als Zahlungsmethode vorschreiben kann. PayPal-Zahlungen sind für den Verkäufer mit einem erheblichen Betrugsrisiko verbunden, denn eine Reihe von Klauseln in den PayPal-Nutzungsbedingungen erlauben es einem betrügerischen Käufer, eine Zahlung unberechtigt zurückzuziehen. Die wenigsten Privatverkäufer kennen diese „Tricks“. Den meisten ist nicht einmal bewusst, dass sie beim Empfang einer PayPal-Zahlung vollumfänglich für einen etwaigen Zahlungsausfall verantwortlich sind. PayPals Werbung kommuniziert diese Risiken nicht.
Gewerbliche Verkäufer können die Risiken und Kosten von PayPal notfalls in ihre Preise einkalkulieren. Werden sie allerdings einmal in die „PayPal-Pflicht“ genommen, gibt es nur schwer ein Zurück. PayPal schreibt in seinen Nutzungsbedingungen online nachverfolgbaren Versand vor. Diese Bedingung erfüllen die meisten günstigen Versandarten nicht. Ein Verkäufer, der PayPal anbietet und gemäß PayPal-AGB versendet, hat also im Vergleich zu seinen Mitbewerbern höhere Versandkosten und muss mit weiteren Abzügen bei seinen detaillierten Bewertungen rechnen.
Auch auf die Suchergebnisse hat die Akzeptanz von PayPal direkten Einfluss: »Wenn Angebote mit PayPal als Zahlungsmethode weiter oben in den Suchergebnissen oder den Kategorielisten erscheinen, spiegelt das nur die Präferenz der Käufer wieder: Angebote mit PayPal werden in bestimmten Kategorien oder Suchanfragen im Vergleich zu Angeboten ohne PayPal von unseren Käufern bevorzugt.« Dafür, dass die „Präferenz“ der Käufer im Sinne eBays ausfällt, wurde mit der Abschaffung des Standard-Käuferschutzes (falle-internet.de berichtete) und der agressiven Bewerbung des PayPal-Käuferschutzes in allen eBay-Angeboten - auch solchen, die laut Nutzungsbedingungen gar nicht mit PayPal bezahlt werden dürfen - bereits gesorgt. eBays neue Maßnahmen sollen vor allem auch die in Deutschland immer noch niedrige PayPal-Quote (aktuell: 18% bei privaten und 55% bei gewerblichen Verkäufern) steigern und damit eine dritte Gebührenquelle neben Angebotsgebühr und Verkaufsprovision etablieren.

„Fragen Sie doch Ihren Verkäufer, ob er PayPal als Zahlungsmethode anbieten möchte“ - wodurch er zusätzliche Gebühren abführen muss.

Scheingeschäfte – Scheinbewertungen – Scheinprofile
Von allen möglichen Bewertungen sind positive Käuferbewertungen diejenigen mit dem geringsten Nutzen. Ein Verkäufer kann sich „seine“ Bieter ohnehin nicht aussuchen, der Käufer kauft unabhängig von der Zahl seiner Bewertungen die gleichen Artikel zum selben Preis.
Positive Käuferbewertungen stellen aber ein Sicherheitsrisiko dar. Unseriöse Verkäufer bessern ihre Bewertungsprofile seit langem durch den gezielten Ankauf positiver Bewertungen auf. Insbesondere auf ausländischen eBay-Plattformen werden diese als angebliche „E-Books“ oder Hintergrundbilder („wallpapers“) gehandelt. Bei solchen Transaktionen spielt es keine Rolle, ob der Artikel tatsächlich bezahlt wird, denn der Erhalt einer Bewertung ist auch für den Verkäufer bereits lohnend genug.

  Bei diesem Angebot ist deutlich erkennbar, um was es geht: es wird eine Bewertung verkauft. Gleichzeitig erhalten der Käufer und der Verkäufer (ein „Powerseller“) eine positive Bewertung.

Obwohl eBay im Frühjahr 2008 den Austausch von Bewertungen für digital lieferbare Artikel offiziell unterbunden hat, wird diese Regelung offenbar von findigen Verkäufern unterlaufen. In der Suche findet man immer noch reichlich passende Angebote.

  Digitaler Artikel, Startpreis 1 Cent.

Sicherheitsproblem: Bewertungsautomaten
Selbst falls eBay es in der Zukunft schaffen sollte, solche offensichtlichen Bewertungs-Angebote zuverlässig auszufiltern, haben Betrüger beim Aufbau eines auf den ersten Blick Vertrauen erweckenden Bewertungsprofils leichtes Spiel. Sie kaufen einfach bei mehreren großen eBay-Händlern, die einen „Bewertungsautomaten“ benutzen.
Ein solches Programm beantwortet die positive Bewertung eines Käufers sofort mit einer entsprechenden Rückbewertung. Dabei wird nicht überprüft, ob der Artikel überhaupt bezahlt wurde. Die Logik dahinter ist, dass ein Käufer ja nur den Erhalt der Ware bewerten könne, und ein Versand ohne Bezahlung ist ausgeschlossen. Das spart viel Arbeit – leider nicht nur dem seriösen Händler, sondern auch den profilaufbauenden Kriminellen.
Zum Verkaufen von größeren Mengen gleichartiger Artikel oder bestimmter hochpreisiger Waren mit kurzer Laufzeit ist ein Bewertungsprofil mit mindestens 10 Punkten Voraussetzung:

  In zwei Minuten wurde das Bewertungsprofil aufgebaut.

Nachdem im obigen Beispiel die erforderliche Anzahl von 10 Bewertungspunkten erreicht war, wurde teurer Schmuck angeboten. Die Bilder und Artikelbeschreibungen waren von ehrlichen Anbietern kopiert worden, das Mitgliedskonto auf falsche Daten angemeldet. Die betrügerischen Angebote hatten die kürzeste Laufzeit von einem Tag - viele Käufer bezahlten per Online-Banking unmittelbar nach dem Ende der Auktion.
Erst später fällt den großzügigen Bewertungsgebern auf, dass ihr „Käufer“ gar nicht bezahlt hat, nach 7 Tagen leiten sie die »Mitteilung über einen nicht bezahlten Artikel« ein.

  

Einige eBay-Händler haben in der Vergangenheit Käufer mit herausragenden Bewertungen durch den Versand der Ware vor Zahlungseingang belohnt. Durch die Gleichschaltung aller Käuferprofile auf ausschließlich positive Bewertungen entfällt in Zukunft dieser (einzige) positive Aspekt von guten Käuferprofilen. Die Missbrauchsmöglichkeiten hingegen bleiben unangetastet. Das begründet eBay so: »Uns ist bewusst, dass das Bewertungssystem für sehr viele unserer Nutzer ein bedeutender Teil von eBay ist und die Jagd nach den Punkten und den Sternen vielen von ihnen großen Spaß macht.«
Betrugswarnungen über Bewertungen nicht mehr möglich
Eine weitere Neuerung soll Verkäufer vor vorschnell abgegebenen oder ungerechtfertigten negativen Bewertungen schützen. Käufer können in Zukunft frühestens drei Tage nach Auktionsende bewerten. Dadurch werden auch zeitnahe Warnbewertungen verhindert - oftmals das einzige Instrument, mit dem nachfolgende Käufer von einem aufmerksamen eBay-Mitglied davon abgehalten werden können, ihr Geld an einen bereits enttarnten Betrüger zu überweisen.
Auch Betrugsversuche an Verkäufern sind Alltag bei eBay. Eine bekannte Methode ist das Vortäuschen einer bereits erfolgten Zahlung durch gefälschte Mails – die Masche der so genannten „Nigeria-Connection“. Um Verkäufer vor dem Verlust von Ware und hohen Versandkosten zu bewahren, wurden häufig Warnbewertungen abgegeben. Diese Möglichkeit entfällt mit der Bewertungsreform.
Die „modernere“ Variante dieser Betrugsart ist der PayPal-Betrug. Hier erfolgt zunächst tatsächlich die Bezahlung - mit einer vermeintlich sicheren Zahlungsmethode. Erst nach dem Versand der Ware stellt sich heraus, dass ein übernommerner PayPal-Account oder gestohlene Kreditkartendaten zur Zahlung benutzt wurden (oder der „Käufer“ dies behauptet) - die Zahlung platzt. Auch durch eine unberechtigte Käuferbeschwerde lässt sich PayPal-Guthaben vom Verkäufer zurückbuchen. Warnbewertungen sind gerade in einem solchen Fall unerlässlich:

  Das Bewertungsprofil eines Kreditkartenbetrügers - in Zukunft 100% grün.

Den betrogenen Verkäufern bleibt keine Möglichkeit, bei eBay gegen den Käufer Maßnahmen zu erwirken. eBays verstärktes Vorgehen gegen „Nichtzahler“, wie es zusammen mit dem neuen Bewertungssystem angekündigt wurde, hat hier keinerlei Auswirkungen. Eine Bezahlung ist ja in der Tat erfolgt und im System gespeichert. Wenn PayPal eine Rückbuchung für einen Käufer durchführt - aus welchen Gründen auch immer - sieht eBay diese naturgemäß als gerechtfertigt an, so dass der Käufer von dieser Seite keine Konsequenzen befürchten muss.
Der Verkäufer hingegen verliert nicht nur Geld und Ware, er sponsort dem betrügerischen Käufer auch noch den Versand. Ob er dafür wenigstens die Höchstnote „5“ bei der entsprechenden detaillierten Verkäuferbewertung erhält, darf bezweifelt werden.
falle-internet.de meint:
Jahrelang hat eBay zugesehen, wie unseriöse Händler ihre Kunden mit „Rachebewertungen“ zur angeblich „einvernehmlichen“ Rücknahme negativer Bewertungen genötigt haben. Statt konsequent gegen solche Verkäufer vorzugehen, soll die Abschaffung der negativen Käuferbewertungen das Problem lösen.

Gleichzeitig werden Käufer ermuntert, vor dem Kauf bekannte Einzelleistungen der Verkäufer (Versandkosten und -zeit) detailliert zu bewerten. Dass dabei das vermeintliche „Honorieren“ einer guten Leistung (4 Punkte) für den Verkäufer einen Schritt in Richtung Verschlechterung in den Suchergebnissen, Ausschluss von Prämienprogrammen und Zwang zur Akzeptanz der eBay-eigenen und kostenpflichtigen Zahlungsmethode PayPal bedeutet, erklärt eBay den Käufern nicht.

Betrüger und Kriminelle erleiden durch das neue Bewertungssystem keine Nachteile, da sie dessen Lücken nach wie vor nutzen können. Betrug durch Käufer wird in den Bewertungsprofilen in Zukunft sogar unsichtbar.

Fazit: Die wenig hilfreichen Änderungen gehen auf Kosten der seriösen Händler - den hauptsächlichen Nutzen trägt eBay selbst davon.


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